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Ansprache der Tochter von Wolfgang Waterstraat

anlässlich der Anbringung einer Gedenktafel

des Projektes "Letzte Adresse" am 18.08.2023 in Berlin-Neukölln

Ansprache zur feierlichen Einweihung
der Gedenktafel für Wolfgang Waterstraat am 18.08.2023
an seinem letzten Wohnort in Berlin- Neukölln
Veranstalter: Projektgruppe "Letzte Adresse" der Menschenrechtsorganisation MEMORIAL.de

 

 

Verehrte Anwesende,

ich möchte mich auch im Namen meiner Familie sehr für Ihr Kommen und Ihre Anteilnahme bedanken.

Ganz außerordentlich danke ich der Menschenrechtsorganisation MEMORIAL Deutschland  für ihre Versöhnungsarbeit.

Sie gibt unserem ermordeten Angehörigen wieder einen Namen und macht das Unrecht, das ihm geschehen ist, öffentlich.

Damit ist er nicht mehr anonym, wie auf dem deutschen Gedenkstein am Massengrab Nr.3 des Donskoj Friedhofs in Moskau. Das ist für uns Angehörige immens wichtig.

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Wir stehen hier vor der letzten Wohnstätte von Wolfgang Waterstraat, meinem Vater.

Es sollte ein heißer Sommertag im August 1951 werden, an dem mein Vater zum letzten Mal, leicht bekleidet mit Shorts und Polohemd, dieses Haus verließ.

Mit raschen Schritten überquerte er die Karl-Marx-Str., blieb noch einmal stehen und winkte seiner kleinen Familie am Erkerfenster im 3. Stock zu, um dann eilig Richtung S-Bahnhof Neukölln zu laufen.

Unsere Blicke folgten ihm zum allerletzten Mal, bis er nicht mehr zu sehen war.

Er hatte keine Bedenken, die S-Bahn über den Ostring zu nehmen. Im Zug widmete er sich sofort seiner als Dissertation geplanten Langzeitstudie.  Er wollte sie noch einmal durchsehen, bevor sie in Druck geht.

Der letzte Tag, an dem er die Urlaubsvertretung für seinen Chef als Abteilungsleiter der Virus-Abteilung im RKI übernommen hatte, würde wieder sehr lang werden. Vielleicht noch eine Vorlesung? Mindestens 5 Patienten waren angemeldet.  Sie sollten an diesem Tag vergeblich auf ihn warten.

Auf der S-Bahnstrecke zwischen Treptower Park und Ostkreuz stiegen 2 Ostpolizisten in Zivil in den Zug. 10 Augenzeugen meldeten sich später, die beschrieben, wie ein großer, blonder Mann Ostkreuz gefesselt und mit Pistolengewalt zum Aussteigen gezwungen wurde. Thermoskanne und Butterbrote drohten aus der geöffneten Aktentasche zu fallen… „das wird sich alles finden!“, murmelte einer der Greifer und schon stiegen sie in ein wartendes Auto hinter dem Bahnhofsbereich. Ein Augenzeuge hatte gewagt, bis dahin die Verfolgung aufzunehmen.

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Hinter einem Namen steht auch ein Mensch.  Dieser Mensch, der hier lebte, war glücklich über seine kleine Familie und zufrieden mit seiner Arbeit. Meine Eltern hatten viele Freunde, besonders aus dem Osten und immer war das Haus für sie offen.

Ab und zu besuchte uns auch mal ein Meerschweinchen. Es fand den Tierstall des RKI aber wohl schöner, sonst wäre es nicht ständig unter unseren Schrank gekrochen.

Mein Vater war ein positiver, humorvoller Mensch.

In seiner Freizeit malte er gerne. So ein Ölbild hatte er an einem Tag fertiggestellt. Als Leinwand diente Presspappe. Mit Illustrationen seiner Feldpostbriefe gewann er im Krieg das Herz meiner Mutter.

Bei der Deutschen Bibliothek findet man unter Waterstraat ein Kinderbuch, was er mit Zeichnungen versehen, als Student in Königsberg herausgegeben hatte.

Seine 6 wissenschaftlichen Veröffentlichungen sucht man da leider vergeblich. Vor Jahren fand ich dort noch etwas. Inzwischen auch verschwunden?  

Neben seinen Forschungen betätigte sich mein Vater auch für den Senat von Berlin als Arzt mit einer humanitären Arbeit, die ihm 1951 gänzlich von seinem Chef übertragen worden war.  

Er kümmerte sich um die auf die einzelnen Patienten zugeschnittene Vergabe von Streptomycin, welche das RKI übernommen hatte. Hierin besaß er spezielles Wissen, auch wie man die dazu nötigen Tests stabil hielt. Es gab viele offizielle Kontakte und wissenschaftlichen Austausch mit Ostwissenschaftlern, die sein Fachwissen sehr schätzten. Einer dieser Herren erzählte mir, es gäbe sogar einen Test, der seinen Namen trägt.

Streptomycin war damals die letzte Rettung für Knochen-TBC- Kranke und sehr teuer.  Die meisten Patienten, die mein Vater betreute, reisten aus dem Osten Deutschlands an, obwohl es ihnen schon per DDR-Gesetz verboten war. Die Geldmittel für deren Streptomycin stammte aus Spenden.

Die Gelder kamen z.B. von der amerikanischen Besatzungsmacht, der UN, dem DRK oder auch von Sammelaktionen der Westberliner Bevölkerung. Mein Vater arbeitete Hand in Hand mit kirchlichen Organisationen wie z.B. Innerer Mission und evangelischem Hilfswerk.

Die vielen verzweifelten Bettelbriefe der schwer Tbc-Kranken, von den Kirchen an das RKI weitergeleitet, waren kaum zu ertragen. Immer wieder mussten Bittsteller enttäuscht werden.

Streptomycin war in der DDR sehr reglementiert und dort gelang die Produktion einfach nicht.  

Mein Vater suchte eine Möglichkeit, mehr Geld aufzutreiben und für Spenden zu werben.

Ein Kollege aus dem RKI kannte Journalisten und führte meinen Vater daher in eine Gruppierung mit vielen Journalisten und Kommunalpolitikern ein.  

Hier wollte mein Vater Redakteure finden, die Spendenaufrufe initiieren können.

Es erschienen dann auch Artikel, in denen er und das RKI als Anlaufstelle genannt wurden und im Rias wurde mehrfach darüber gesprochen.

Einige Redakteure waren besonders aktiv und so entstand eine Splittergruppe, die sich für ein vereintes Europa einsetzen wollte. Eine tolle Idee, wie mein Vater fand.

Obwohl er sich im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedern politisch nicht besonders betätigt hatte, nahm er die Wahl zum ersten Vorsitzenden dieser Aktivisten an.

Was mein Vater nicht ahnte: Diese politischen Gruppierungen wurden von verschiedenen Besatzungsmächten und dem damaligen Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen großzügig finanziert, meist von Agenten gesteuert. Sie waren Feindobjekte der sowjetischen Besatzungsmacht und auch entsprechend unterwandert.

Für ein System, dass sich vor der eigenen Bevölkerung immer als das bessere ausgibt, ist es peinlich, nicht genug Mittel gegen eine Volksseuche zu haben.

Wie aber konnte man diese Spenden, von der stets das DDR-Innenministerium und die sowjetische Besatzungsmacht ihre Anteile bekamen, unterbinden, ohne eigene Bürger sterben zu lassen?  Keine Rücksicht:  Es wurden auf Kosten der Bevölkerung auch Großspenden abgelehnt.

Die Angst vor Spionage herrschte vor. Die DDR sah in der „Liebesgabentätigkeit“ der kirchlichen Organisationen eine Übereinstimmung mit der Tätigkeit von Agentenorganisationen.

Das Netz um meinen Vater hatte sich schon lange verdichtet, ohne dass er etwas ahnte. Offensichtlich wollte man seiner habhaft werden. Zuerst bekam er bereits ab Ende 1950 nacheinander 2 Arbeits-Angebote von Pharmaunternehmen im Osten.

Als er vor der Verschleppung seinen Chef kommissarisch vertrat, steigerten sich gewisse Aktivitäten.

Im Gesundheitsministerium Ost, wollte man ihn plötzlich persönlich sprechen, dazu hatte er aber keine Zeit. Als mein Vater dann verschwunden war, dachte man im RKI, er wäre womöglich dort im Ministerium festgehalten worden.

Freundschaftsbesuche eines ehemaligen Studienkameraden, der in Thüringen lebte, nahmen kurz vor dem Verschwinden meines Vaters zu, eine Probefahrt mit dessen neuem Auto stand zur Debatte. Die wäre wohl stracks in Ostberlin geendet, nahm die Familie später an.  

Aber meine Eltern waren ja nicht da. Das letzte Wochenende, das sie gemeinsam verbringen sollten, verlebten sie in der Waldbühne, wo zwei Wohltätigkeitsveranstaltungen für den Spendenfont liefen.  Kurz vor seinem Verschwinden äußerte mein Vater, er hätte den Eindruck, der Ost-Freund sei auf ihn angesetzt. Er hatte aber zu spät Verdacht geschöpft.

Und nun komme ich zum Corpus Delicti, von dem mein Vater als junger Mensch damals nie gedacht hat, dass es bis heute benutzt werden könnte, um seinen Ruf zu schädigen. Sogar durch persönlich bekannte anerkannte Historiker.

In Berlin Zehlendorf auf der Potsdamer Chaussee stand ein Panzer der Roten Armee als Erinnerung an die Einnahme Berlins, auf den sich die Wut der West-Berliner Bürger fast täglich konzentrierte.

Parolen wie Freiheit oder weg mit dem Panzer zierten ihn oder er wurde einfach mit Farbe oder Benzin übergossen. Mein Vater nahm an einer dieser Aktionen teil.  Ideenlieferant soll er nicht gewesen sein, das liegt im Dunkeln.

Für die sowjetische Besatzungsmacht war das ein Diversionsakt. Ein fotodokumentierter Beweis, den man gegen meinen Vater verwenden konnte, um die eigentlichen politischen Gründe, z.B. eine imageschädigende Vergabe von Antibiotika, zu unterbinden.   

Mein Vater ließ sich zu dieser Aktion verleiten und nur er wurde als einziger der Teilnehmer festgenommen, obwohl alle Beteiligten entweder im Osten wohnten oder regelmäßig dorthin fuhren. Ich konnte die meisten noch sprechen.

Mein Vater setzte sich mit dieser Aktion für ein entmilitarisiertes vereintes Europa ohne Grenzen ein. Was heute einige am liebsten wieder rückgängig machen wollen.  Freiheit und Demokratie wurden im Westberlin der 50er Jahre als hohes Gut betrachtet. Gerade, weil ständig von außen bedroht. Wir sollten uns heute sehr überlegen, andere Alternativen zu suchen. 

Ich könnte gewiss noch stundenlang reden, über die bösen Gerüchte, die meine Familie belasteten, über einen Lockanruf des MfS und 2 Entführungsversuche meine Mutter betreffend 2 Monate später.

Uns belasteten die schweren gesundheitlichen Probleme meiner Mutter, ihr Existenzkampf und die Ängste, durch die Zone zu fahren-

Todesnachrichten mit unterschiedlichem Datum und vor allem die erschütternde Nachricht, dass mein Vater erschossen wurde.

Wir konnten es kaum fassen.  Ein junges, aufstrebendes Leben – endete wie das eines Schwerverbrechers? Für uns alle ein neuer Schock, auch dass er offensichtlich gefoltert wurde und Heiligabend 1951 2x und am 1. Weihnachtsfeiertag ebenfalls verhört wurde, obwohl die Anklage bereits feststand.

Mein Vater erhielt 1993 die russische Rehabilitierung wegen „grundloser“ Verhaftung. Ein sinnloser Tod.

Gerechtigkeit nach bundesdeutschem Recht für jenen Verschleppungsakt am 28.8.1951 fanden wir nicht.

Berliner Landgericht, sowie Kammergericht wiesen alle Anträge ab.

Wir mussten ertragen, dass die mit dem Fall befassten Richter und Staatsanwälte, nicht sicher waren, ob das Urteil des Sowjetischen Militärtribunals wegen Spionage gegen meinen Vater überhaupt „rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprach, oder rechtswidrig war, weil er einer antikommunistischen Organisation angehört hatte…“

Das Kammergericht hat schließlich unsere Beschwerde über die Nichtzulassung zur deutschen Rehabilitierung verworfen. Genau am 44. Jahrestag der Hinrichtung.

Als eine der ersten Forschenden in der Gauck- Behörde und dort zäher, unglaublich schwieriger Arbeit fand ich endlich ein Verhörprotokoll meines Vaters und einen Agent Provocateur, der nicht nur wegen seiner kranken Frau im RKI war, sondern meinen Vater offensichtlich zu politischen Äußerungen verleiten sollte.

Wichtige Fragen konnten bis heute von diesem Archiv nicht beantwortet werden.

Ein Netz von politischen Verstrickungen   und gelenkten externen Agententätigkeiten- auch von sogenannten Freunden wurde durch meine Recherche sichtbar.

Mein Vater ist nicht das einzige Opfer, dass einen solchen gewaltsamen Tod in einem Keller der Butyrka in Moskau fand. Nach neuesten Forschungen sind mehr als 3481 SMT- Todesurteile in den Jahren 1944-1955 an deutschen Zivilisten vollstreckt worden.

Bereits 1990 wurde meine Mutter in der Gauck- Behörde gefragt, warum sie nach so vielen Jahren die Sache nicht lieber ruhen lassen will.

Warum finden Angehörige keine Ruhe?

Weil ein lieber Mensch verschwand und mit ihm seine Biografie, sein Name, die ganze Existenz. Eine große Lücke, ein Schmerz, der nie vergeht.

Man will jede fehlende Sekunde nacherleben und irgendetwas noch für ihn tun können. Vor allem möchte man, dass er nicht vergessen wird-

irgendwo muss sein Name stehen. Auf einem Grabstein, einem Straßenschild oder an einer Hauswand.

Und hier wird er gleich stehen und wir sind froh darüber.

 

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Ute Görge-Waterstraat

 

Umso trauriger war der Anblick dieser kleinen Gedenkstätte am nächsten Tag.

In Russland werden zunehmend die Tafeln von Hauswänden abgeschraubt. Die Vergangenheit soll so wie die Menschen ausgelöscht werden.

Hier in Deutschland lassen wir das nicht zu. Inzwischen wurde eine neue Tafel angebracht. Denn die Wahrheit läßt sich nicht verdrängen.

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